Die Zukunft des Reisens ist digital

Europa

 

Während der Pandemie hat sich die Reisebranche nach einer Rückkehr zur „Normalität“ gesehnt. Jetzt, mit einer globalen Impfstoffkampagne, einer Lockerung der weltweiten Reisebeschränkungen und einem steten Anstieg des Reiseaufkommens, macht sich ein neues Gefühl des Optimismus breit. Reisende dürften jedoch schnell daran erinnert werden, wie viele „Reibungsverluste“ das Reisen schon vor der Pandemie mit sich brachte: lange Wartezeiten am Flughafen, verlorenes Gepäck, Zollformalitäten, langwierige Sicherheitskontrollen, Flugverspätungen und lange Schlangen vor Taxis, um nur einige zu nennen. COVID-19 hat diese Situation noch verschlimmert. Die Pandemie bedingte nicht nur neue Ängste und Sorgen, sondern auch operative Komplexitäten und eine Vielzahl behördlicher Einschränkungen.

Das Reisen nach der Pandemie ist reif für Disruption

Die wenigsten Branchen sind gegen die Gefahr von Disruption gefeit, auch nicht die Reiseindustrie. Digital-First-Player wie Airbnb und Uber haben ihre Territorien abgesteckt. Großereignisse wie Pandemien und Disruption sind seltsame Bettgenossen, denn signifikante Shifts eröffnen neue Möglichkeiten für Veränderungen. Branchen, die Reibungsverluste bei ihren Kunden akzeptieren, sind reif für Disruption. Die Reiseindustrie wird verwundbar, wenn sie sich in der Erholungsphase auf Strategien, Infrastrukturen und Technologien der Vergangenheit stützt. Denn Disruptoren machen sich die Vorteile und Skalierbarkeit neuer Technologien zu Nutze. Sie lösen Probleme und schaffen Mehrwerte in Bezug auf Kosten, Komfort oder Services. Während die Welt im vergangenen Jahr in vielen Bereichen stillstand, haben Technologien das Innovationstempo massiv beschleunigt.

Die Pandemie hat die Etablierung kontaktloser Technologien, digitaler Sprachassistenten, vernetzter Geräte und Wearables vorangetrieben. Fortschritte in künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen ermöglichen eine bessere Personalisierung und neu definierte Geschäftsprozesse. Zusätzlich haben Arbeitskräftemangel und COVID-19-Beschränkungen den Einsatz von Robotik und Automatisierung vorangetrieben. Viele Flughäfen nutzen beispielsweise autonome Gepäcktransporte oder Drohnen zur Unterstützung bei der Flugzeugkontrolle. Die Veränderungen sind im vollen Gange. Die Zukunft der Branche birgt zahlreiche Chancen und Herausforderungen, die durch den technologischen Fortschritt angetrieben werden.

„Reibungslose“ Kundenerlebnisse sind der Schlüssel zum Erfolg

Es gibt diverse Möglichkeiten, wie die Reisebranche Reibungsverluste reduzieren kann, um ein besseres Kundenerlebnis zu schaffen, das die neuen Verhaltensweisen der Gäste berücksichtigt:

Kontaktlose Interaktionen: Kunden sind weiterhin sensibilisiert, wenn sie gemeinschaftlich genutzte Oberflächen berühren. Technologien wie QR-Codes und kontaktlose Schalter können Abhilfe schaffen. Southwest Airlines beispielsweise setzt ein System zur Getränkebestellung auf Flügen mit QR-Codes ein. Der Kunde scannt den Code, um die Getränkekarte aufzurufen, wählt ein Getränk aus und hält sein Telefon oder die Hand hoch, um seine Bestellung anzuzeigen. AirAsia hat ebenfalls mehrere kontaktlose Verfahren eingeführt, darunter kontaktlose Schalter, das Passenger Reconciliation System (PRS), kontaktloses Bezahlen am Flughafen sowie verbesserte Funktionen in seiner Mobile App. Marriott hat in ausgewählten Hotels ein Pilotprogramm mit kontaktloser Rezeption gestartet und den Check-in mittels UV-Strahlen und antimikrobieller Technologie sicherer gemacht. Damit entwickelt die Hotelkette ihre Services stringent weiter, mit mobilem Check-in und Check-out, mobilen Zimmerschlüsseln und mobilen Serviceanfragen durch Echtzeit-Nachrichten, die über die Marriott Bonvoy-App verfügbar sind.

Wegweiser und Warteschlangen: Eine große Sorge vieler, auch nach der Pandemie, sind Menschenmassen und lange Schlangen, die an Orten wie Freizeitparks oder Museen unvermeidbar sind. Technologien wie Beacons und IoT können dabei helfen, den Fluss und die Bewegung der Menschen zu kontrollieren, was wiederum Möglichkeiten zur Optimierung von Abläufen oder zur Überwachung von Distanzierungsmaßnahmen eröffnet. Ein weiteres wichtiges Werkzeug, um Reibungspunkte zu entschärfen, ist Digital Signage. Ferngesteuerte digitale Anzeigen können Menschen in Echtzeit informieren, lenken und mit Details zu Wartezeiten o.Ä. versorgen. Digital Signage kann auch mit Mobile Apps gepaart werden, die Turn-by-Turn-Navigation und interaktive Karten bereitstellen. Zusammen mit Anwendungen wie Augmented Reality oder in Kombination mit bestehenden Treueprogrammen lassen sich so einzigartige Markenmomente schaffen. Lange Warteschlangen können auch durch „virtuelles Anstehen“ vermieden werden. Entsprechende Services werden mit der Verbreitung neuer Technologien wie 5G immer häufiger zum Einsatz kommen. Die Universal Studios haben beispielsweise bereits ein virtuelles Warteschlangensystem implementiert, mit dem Gäste im Voraus ihre Zeit für bestimmte Fahrgeschäfte planen können.

Reiseplanung: In der Post-COVID-Welt bleibt die Unsicherheit bezüglich der sich ändernden Regeln und Beschränkungen an den Reisezielen. Für viele ist die Google-Suche die erste Anlaufstelle für entsprechende Informationen. Zu den beliebtesten Suchanfragen im Zusammenhang mit „Reisen“ zählen „Reisebeschränkungen“ und „COVID-Tests“. Google Travel hat hier eine führende Rolle übernommen, da man lokalisierte Informationen aus einer Vielzahl von Quellen in die Vor-Reise-Erfahrung integrierte. Diese Funktionen wurden kontinuierlich erweitert, beispielsweise durch COVID-19-Warnungen neben Angaben zu Hotels und Flügen, um Kunden darüber zu informieren, ob an einem bestimmten Reiseziel eine Impfung oder Quarantäne erforderlich ist. Aufgrund des durch Corona bedingten Roadtrip-Booms integrierte man im vergangenen Jahr auch hilfreiche Sicherheitswarnungen in Google Maps, um Reisende bei Grenzüberschreitungen zu unterstützen. Dies sind nur einige Initiativen, wie Google auf Reibungspunkte während der Pandemie reagierte. Reiseunternehmen können sich daran ein Beispiel nehmen.

Biometrische Identifikation und Gesundheitschecks: Wer heute international reist, den erwarten unzählige neue Protokolle, Kontrollpunkte und Formulare. Die Folgen sind längere Wartezeiten, zusätzlichen Betriebskosten und mehr Stress für die Reisenden. Um die Abläufe zu beschleunigen, setzen Reiseunternehmen auf neue Technologien wie Gesichtserkennung und Gesundheitsscreening-Tools wie Wärmekameras. Miral, das Unternehmen hinter Reisezielen wie Abu Dhabis Yas Island, kündigte kürzlich seine innovative FacePass-Initiative an. Der Zugang zu den Themenparks und Attraktionen der Insel sowie das Bezahlen in Shops und Restaurants werden damit kontaktlos per Gesichtserkennung ermöglicht. Um dies zu gewährleisten, ist die Yas Island Mobile App ist mit den Ticketingsystemen und Drehkreuzen der Insel verbunden. Bedingt durch die Pandemie, haben Flughäfen die Einführung von Körpertemperatur-Scannern forciert, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. In Dallas, London, Cancun und anderen Airports wurde die Wärmebildtechnologie zur Gesichtserkennung und Temperaturmessung getestet.

Die Pandemie hat die Etablierung neuer Technologien massiv beschleunigt. Elementar ist, dass sich Reiseunternehmen nicht nur auf die reine Problemlösung, sondern auf die Verbesserung des ganzheitlichen Kundenerlebnisses fokussieren. Die Branche muss sich mit Blick auf die Zukunft neu aufstellen, denn die Gäste sind heute offener denn je für Technologien, die ihnen Geld, Zeit und Unannehmlichkeiten ersparen. In Zukunft werden diejenigen Marken die Treue der Kunden gewinnen, die ihre physischen und digitalen Touchpoints nahtlos miteinander verbinden. Der Einsatz neuer Technologien wird nicht nur den Unterschied machen, um das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen, sondern ausschlaggebend dafür sein, wie schnell sich die Branche von den Folgen der Pandemie erholen wird.


Autor: Sooho Choi, Global Head of Travel & Hospitality beim Beratungshaus Publicis Sapient